Customer Experience und Coaching: Was ist anders, anstrengender oder angenehmer?

Ich will Ihnen die Erfahrungen mit Online-Pionieren schildern sowie einen Einblick in aktuelle Befragungsergebnisse geben.

Die Digitalisierung von Auswahlprozessen, AC/DCs und auch Trainings im Hinblick auf den Einsatz von Online-Medien und Videotechniken sowie der IT-Standardisierungen in der AC Konzeption und Durchführung war für mich teilweise schon vor 20 Jahren ein Thema.

Jetzt ist die digitale Arbeitswelt „live“ und das Remote-AC, sprich die Virtualität häufig einfach Realität.

Seit Frühjahr letzten Jahres sind nahezu alle Auswahlverfahren und Assessment Center auf die ich Kunden vorbereitet habe, auf online umgestellt. Je nach AC Anbieter/Durchführer allerdings mit unterschiedlicher Qualität. (link zu Technik blog)

Es lässt sich resümieren, dass diagnostisch, also vom reinen Erkenntniswert eigentlich alles gleich ist, die Validität stimmt, was aktuelle Studienergebnisse nahelegen, wenn ACs gut konzipiert sind. Auch die soziale Validität, sprich die Akzeptanz bei Kandidaten, ist groß.

So haben sich meine Kunden nahezu ausschließlich für die Online-Variante entschieden, auch wenn sie Präsenz- oder Hybridangebote unter AHA-L Regeln hatten.

Nicht aus Angst vor Ansteckung, sondern weil sie sich zuhause entspannter und wohler fühlten, als in einem Meetingraum.
Allerdings finden alle Beteiligten, Kandidaten und Beurteiler es „anstrengender“, auch meine Coachees. Genaue Ursachen werden meist nicht genau beschrieben. Meine Erfahrung ist, dass es von der digitalen Vorerfahrung abhängt. Bei Manchen Coachees striechen war es schon vor Corona Routine, den ganzen Tag in Videokonferenzen zu verbringen und virtuell global zusammen zu arbeiten. Bei Anderen ist es eben noch relatives Neuland.

Den Überstrahleffekt auf die Ergebnisse durch erhöhte Anspannung im virtuellen Raum, wie oft behauptet wird, kann ich insofern entkräften, dass dieser sowohl bei Präsenz als auch Remote immer da ist.

Wer also sehr nervös in Prüfungssituationen ist, bei dem wirkt diese Anspannung und Nervosität immer als ein Ergebnisverzerrer. Aber gleichzeitig ist exakt dies ja auch ein wesentliches Kompetenzkriterium, Stressbewältigung, Resilienz, Stabilität in schwierigen Situationen.

Als nötigen Erfolgsfaktor sahen alle, vorher technische Checks und Übungen zu machen, um Sicherheit zu erlangen. Dazu waren die Coachingssessions sehr hilfreich.

Dazu gehören auch die ganzen Tipps zu Lichtverhältnissen, Tonqualität und die Wahl der Kleidung zu beherzigen. Ebenso auch der Umgang mit virtuellen Flipcharts und Online-Präsentationen, sollte einem von der Hand gehen. Ratsam ist es mit zwei Bildschirme zu arbeiten, einen für das Lesen der Instruktionen, einen für Notizen.

Man sollte es sich bequem machen, sich einen Raum mit persönlichen Wohlfühlcharakter gestalten. Ein optisches Element, welches man schön findet platzieren um mal einen Blick darauf zu werfen wirkt ermutigend und hat sie positiv gestimmt.“ My-Sweet- Home-Office“ schafft mehr psychologische Sicherheit, als ein funktionaler Meetingraum, schlimmstenfalls mit schlechtem Hotelbett.

Zu Hause aus ein AC zu machen, das ist auch Chance. Es fühlt sich gut an, sagen sie.
Nervennahrung nicht vergessen.

Das eigene Catering ist besser als die üblichen Tagungskekse. Wichtig ist auch, sich ausreichend Lieblingsgetränke bereit zu stellen. Auch wenn viele Veranstalter mittlerweile darauf achten, großzügigere Pausen einzubauen, sei es für die meisten immer noch sehr, sehr eng getaktet gewesen.

Alle wünschten mehr Pausen, um z.B. mal kurz vor die Tür gehen zu können, um Luft zu schnappen.

Arbeitsplatzergonomie ist ein wichtiges Thema: ein ordentlicher und großer Schreibtisch, ein guter Stuhl. Alles muss richtig sitzen, nicht nur sie! Also gute Kamera, niemals eine am Laptop integrierte nutzen, da sieht jeder schief aus!
Wenn man sich online erstmals begegnet muss zu Beginn und während des Assessments mehr in Beziehungspflege investiert werden, das ist zwar primär Aufgabe des Durchführers, aber auch sie sollten darauf achten „persönlich“ zu wirken und etwas Persönliches preis zu geben.

In Bezug auf Mimik kommt bei Remote dennoch viel rüber, weil man den Personen viel stärker in Naheinstellung gegenübersitzt. Manchmal mehr rüber als gewollt und gedacht. Vorsicht also mit Nasepopeln! Schwerer ist die Präsenz und die Wahrnehmung der ganzen Gestalt und ihr Verhalten im Raum – was oft mit der Bewertung des Selbstbewusstseins einhergeht, einzuschätzen, sowohl für Kandidaten als auch für Beurteiler.

Generell wird der Beobachtungsdruck meinen Coachees streichen in Online-Settings weniger stark wahrgenommen und ist nicht so präsent wie bei Präsenz-Verfahren. Sie fühlen sich befreiter.

Vieles Coachees sahen auch Vorteile beim Interview. Sie konnten sich viel mehr auf den Inhalt konzentrieren und fühlten sich viel weniger abgelenkt. Das schildern sie auch für Präsentationen, hier fehlte Ihnen aber die Reaktion von Zuhörenden, also das zeitnahe Feedback 

Als anstrengend empfanden die Coaching Teilnehmer unisono die komplexen Fallstudien, die nur online bearbeitbar sind. Ausgedrucktes Papier lässt sich besser ordnen und sortieren und auch beschriften.  Die Rollenspiele empfanden sie als gut machbar, auch wenn sie die persönliche Nähe vermissten. Es hinge stark von den Instruktionen und Settings ab.
Insgesamt sagen alle „Pioniere“, es ist gut machbar und kaum jemand führt seine individuelle Leistung und sein Ergebnis auf die Remote-Situation zurück. 

In Echt wäre anders, aber nicht unbedingt besser oder schlechter.